Spätestens am Ende der Schulzeit heißt es: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“ Zwar hat sich in über 2.000 Jahren – so alt ist dieses Seneca-Zitat – einiges geändert, dennoch gilt Schule immer noch als lebensfern. Auf unserer letzten Station durch die Gröpelinger Bildungslandschaft sprechen wir mit Katrin Hütter und Matthias Schmuhl vom Leitungsteam darüber, wie an der Gesamtschule West (GSW) Schule konkret aufs Leben vorbereitet: von der Schülerfirma über die Projektwoche bis hin zum Fachunterricht.
Text: Eva Determann, Fotos: Tim Lachmann, Mai 2025
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Die Schule als zweites Zuhause
Die Gesamtschule West ist eine Ganztags-Oberschule im Bremer Westen. An der Grenze zwischen den Stadtteilen Gröpelingen und Walle gelegen, wird sie aktuell von 530 Kindern und Jugendlichen besucht. Diese verteilen sich auf sechs Jahrgänge mit jeweils vier Klassen sowie eine Vorbereitungsklasse für Sprachanfänger:innen. Die Klassen bleiben in der Regel vom 5. bis zum 10. Schuljahr zusammen, was die individuelle Orientierung erleichtert und das soziale Miteinander fördert. Baulich unterstützt wird das gelebte Konzept der Jahrgangsblöcke durch die Jahrgangshäuser. Jeder Jahrgang verfügt über vier Klassenräume, einen Teamraum und eine große Sozialfläche sowie ein eigenes Außengelände, angepasst an die Bedürfnisse der jeweiligen Klassenstufe. Oder wie es Schulleiter Matthias Schmuhl erklärt: „Das ganze Schulkonzept ist nach dem Jahrgangsprinzip gestaltet. Wir haben hier eigentlich sechs kleine statt einer großen Schule. Dahinter steht der Gedanke, den Schülerinnen und Schülern so etwas wie ein zweites Zuhause zu bieten. “
Ganztag bietet Zeit für mehr
Alle Schüler:innen nehmen im Rahmen des Ganztags mehrmals in der Woche an entsprechenden Angeboten („Wahlarbeitsgemeinschaften“ für die Jahrgänge 5 bis 8 und „Qualifikationsfächer“ für 9 und 10) teil. Bereits ab Klasse 5 wählen die Schüler:innen im Nachmittagsbereich neben Förder- und Forderangeboten aus über 50 Wahlarbeitsgemeinschaften (WAGs). Hier stehen ihnen unterschiedliche Sport-, Kreativ- und Musikangebote, Theater-AGs, ein Leseclub offen. Zusätzlich finden zweimal im Schuljahr themenorientierte Projektwochen, z.B. zu den 17 Nachhaltigkeitszielen, statt. „Dann geht es darum, Begabungen zu fördern, Talente zu erkennen, Interessen zu wecken, all das, was über den Fachunterricht hinausgeht“, sagt Katrin Hütter, didaktische Leiterin an der GSW. „Aber auch der Fachunterricht selbst wird ergänzt durch Stunden für individuelles Lernen und soziales Lernen, die Klassenratsstunde etc., Dinge, die Voraussetzungen schaffen für persönlichen Lernerfolg.“
Die Zusammenarbeit mit dem lokalen Sportverein TuRa, dessen Vereins- direkt ans Schulgelände grenzt, ermöglicht zum Beispiel ein differenziertes Gesundheits- und Bewegungskonzept für alle anzubieten, „ohne ausschließlich leistungsorientiert zu sein“, so Schulleiter Matthias Schmuhl: „Woanders liegt der Fokus auf Jugend trainiert für Olympia, unser Konzept ist es, möglichst alle zu bewegen.“
Vom Profilfach zur Schüler:innenfirma
Ab dem 6. Schuljahr wählen die Schüler:innen zusätzlich zu ihrem Fachunterricht ein Profilfach (PF), wie z. B. eine Fremdsprache, Kunst, Gesundheit und Bewegung, Informationstechnik. In den Jahrgängen 9 und 10 sind die Profilfächer dann jahrgangsübergreifend und wenn möglich als Schüler:innenfirmen angelegt. Die Themen entstammen dem Schulalltag. Zum Beispiel hat sich die Gruppe Raumgestaltung zur Aufgabe gemacht, den Innenbereich der Schule zu verbessern. An der gebäudeinternen Schulstraße wurde ein stylischer Kiosk geplant und umgesetzt, als nächstes werden sich die Wände vorgenommen. Ein Technik-Service-Team, das im Schulgebäude unterwegs ist, führt in Eigenregie kleinere Reparaturen durch und begleitet auch veranstaltungstechnisch schulische wie außerschulische Events z. B. die Lange Nacht der Jugend im Bremer Rathaus. Es gibt eine Fahrradwerkstatt und ein dienstleistungsorientiertes Schulbüro (Motto: Sie haben eine Arbeit für uns? Wir erledigen sie). Das Ganze findet in festen Unterrichtsstunden statt: „Perspektivisch versuchen wir, diese Aktivitäten zu einer Schülerfirma zusammenzufassen mit eigenen Bereichen für Geschäftsführung und Management“, so Matthias Schmuhl.
Manchmal entwickeln sich Projekte aus individuellen Interessen der Lehrkräfte. So entstanden u.a. die erfolgreiche Imkerei und der Schulgarten – der schuleigene Honig von sechs Bienenvölkern findet bei Eltern, Schüler:innen und Kollegium regen Absatz.
Zusammenarbeit mit Institutionen und externen Kräften bereichern den Schulalltag
In vielen Fällen tragen Kooperationen mit außerschulischen Akteur:innen und Institutionen wie Vereinen, Museen oder Unternehmen dazu bei, das schulische Angebot quantitativ und qualitativ zu erweitern und personell zu entlasten. Wichtige Partner:innen innerhalb von Gröpelingen sind z.B. die Stadtbibliothek West und der Verein Kultur Vor Ort. Doch auch Lernorte außerhalb des Stadtteils, wie das Focke-Museum, die Kunsthalle oder die Bremische Bürgerschaft, werden besucht.
Externe Kräfte bringen mit großem Engagement Fachwissen, Erfahrungen und häufig auch Ressourcen ein, die über den schulischen Lehrplan hinausgehen. So leitet ein professioneller Zeichner die Illustrations-WAG oder der türkische Elternverein erteilt Nachhilfeunterricht. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für solche Kooperationen zwischen Schulen und Kooperationspartnern sind dabei klar festgelegt und regeln Fragen zu Verantwortlichkeiten, Versicherungsschutz, Qualifikation und Vergütung.
Berufs- und Kompetenzorientierung
Ab Klasse 8 absolvieren die Schüler:innen zwei bis drei Praktika. Hier unterstützen lokale Wirtschaftsunternehmen die GSW mit Praktikumsplätzen. Dank langjähriger Netzwerkarbeit verfügt die Schule inzwischen über eine gut gepflegte Kartei mit Adressen für erfolgreiche Betriebs- und Sozialpraktika sowie für das Projekt „Probebewerbung“ in Jahrgang 9, bei dem Schüler:innen ein komplettes Bewerbungsverfahren in einem Unternehmen durchlaufen, was nicht nur den Eltern gefällt, sondern auch die Außenwahrnehmung positiv beeinflusst. Schüler:innen erhalten wertvolle Einblicke in die Arbeitswelt und manches Praktikum setzte sich in einem Ausbildungsvertrag fort. „Dies ist auch für die eigene Kompetenzorientierung enorm wichtig“, weiß Matthias Schmuhl zu berichten.
Positive Effekte für den Fachunterricht
Dass nicht jeder Lernort außerhalb des Klassenzimmers analog sein muss, zeigt die Teilnahme am Portal Digitale Drehtür. Hier haben sich renommierte Einrichtungen aus den Bereichen Naturwissenschaften, Sprachen, Literatur, Kunst und Politik zusammengetan, um besonders interessierte und leistungsstarke Schüler:innen mit Selbst-Lernangeboten, Live-Kursen und Videokonferenzen zu stärken. Die Themen werden dann zurück in die Klassenzimmer „gedreht“. Einige Schüler:innen können sich in Jahrgang 7 beim englischsprachigen Schüler:innenaustausch in Kooperation mit dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk beweisen. Und so profitiert letztendlich auch der Fachunterricht von außerschulischen Bildungspartnerschaften und bereitet gut auf die Oberstufe oder weiterführende Schulen vor.
Großer Show-Down für alle Projekte ist übrigens der jährliche Tag der offenen Tür, an dem die selbst geschriebenen Bücher, die einstudierten Theaterstücke und Musikdarbietungen und alle anderen Produkte vor der gesamten Schule präsentiert und gefeiert werden.